Bedürfnisanstalten als städtischer Hingucker
Die Toilettenanlage, entworfen von dem Architekten Sou Fujimoto, erinnert mit ihren weißen geschwungenen Linien an ein überdimensionales Waschbecken.
Als sich Tokio für die olympischen Spiele 2020, die bekanntermaßen Pandemie bedingt dann 2021 stattfanden, für seine Gäste aus aller Welt schön machen wollte, befand die Nippon Foundation, dass dazu auch die „öffentlichen Bedürfnisanstalten“ gehören sollte, die in Japan ebenso unbeliebt waren wie im Rest der Welt. Das Projekt „The Tokyo Toilet“ wurde ins Leben gerufen, das an 17 Standorten in Shibuya, einem Stadtteil von Tokio, öffentliche Toiletten realisieren sollte, die nicht nur zur Benutzung einladen, sondern auch architektonische Highlights sein sollten.
Weltbekannte Stararchitekten wie die Pritzker-Preisträger Tadao Ando, Toyo Ito, Shigeru Ban und 13 weitere Architektur-Koryphäen sollten die öffentlichen Toiletten von Tokio zu Protagonisten der Stadtgestaltung machen. Bis 2022 wurden 13 der geplanten Projekte realisiert. Wir hatten ausführlich über die ersten Toiletten-Pavillons berichtet (https://objekte1.test-sks.de/ausgabe121/toto-tokio/, https://download.sks-infoservice.de/assets/downloads/222objekt-toto.pdf). Mit den vier zuletzt fertiggestellten Sanitäranlagen von Junko Kobayashi, Marc Newson, Sou Fujimoto und Miles Pennington fand das Projekt jetzt seinen Abschluss. Wie bereits bei den übrigen Objekten hat der japanischen Sanitärhersteller Toto der Fondation nicht nur beratend zur Seite gestanden, sondern auch zur sanitären Ausstattung beigetragen.
Das Projekt hat weltweit für Beachtung gesorgt, denn jedes der entstandenen Toilettenhäuser ist ein Kunstwerk. Ziel war es, das Konzept der öffentlichen Toiletten ganz neu zu denken und Orte zu schaffen, die zu jeder Tages- und Nachtzeit sicher und sauber für alle Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht oder körperlicher Beeinträchtigung, genutzt und erlebt werden können.
Den Menschen ein angenehmes Toilettenerlebnis zu ermöglichen und somit auch der berühmten Omotenashi-Kultur der zuvorkommenden Gastfreundschaft Genüge zu tun, war das erklärte Ziel der Nippon Foundation und aller Beteiligten. Dabei sllte eine Atmosphäre geschaffen werden, in der sich der Gast wohl fühlt und ein Höchstmaß an Sauberkeit vorfindet. Die Sanitäranlagen sollten entsprechend einladend, sicher, hygienisch und einfach zu nutzen sein. Darüber hinaus spielte vor allem die Inklusion eine große Rolle. Und so sind die nun fertiggestellten öffentlichen Toiletten allesamt auch Geschlechter übergreifend und barrierefrei zugänglich für Menschen mit körperlichen und visuellen Einschränkungen. Sie bieten zudem eine variierende Auswahl an Ausstattungen, die speziell für die Bedürfnisse älterer, schwangerer oder Menschen mit kleinen Kindern ausgelegt sind.
Direkt unter der vielbefahrenen Stadtautobahn Nr. 4, neben einem massiven Brückenpfeiler, steht das von Marc Newson entworfene Toilettenhaus. Der renommierte Designer, der unter anderem für Kunden wie Louis Vuitton und Nike arbeitet, nimmt mit der geschwungenen Dachform des Gebäudes Bezug auf die traditionelle japanische Architektur, die oft in Schreinen, Tempeln oder ländlichen Gegenden gefunden wird. Sie soll, zusammen mit der kompakten Form des Gebäudes, Ruhe und Behaglichkeit bringen in die hektische und hypermoderne Umgebung der geschäftigen Millionenmetropole. Durch die Sichtbetonfassade und durch die mit der Zeit entstehenden Patina des Kupferdaches verschmilzt das Toilettenhaus immer mehr mit der Umgebung. Details wie die abgerundeten Ecken des Kubus und der Türöffnungen sowie insbesondere die warme Beleuchtung des Gebäudes unterhalb der Dachkante, wirken im Kontrast dazu harmonisch und behaglich. Um das Gefühl der Sauberkeit und Sicherheit zu unterstreichen, hat Marc Newson die kompletten Innenräume einfarbig in hellem Blaugrün und einer glatten, nahtlosen Oberfläche gestaltet.
Von der traditionellen japanischen Architektur inspiriert und in der Formensprache schlicht und zurückhaltend zeigt sich das von Marc Newson entworfene Toilettenhaus.Unter der hochgelegenen Stadtautobahn und mit der Eisenbahnlinie in unmittelbarer Nähe wirkt das Gebäude wie ein Ruhepol in dem geschäftigen Umfeld und wird gleichzeitig zu einem Teil der Umgebung. Die barrierefreien Kabinen werden über automatische Schiebetüren betreten.
An einer Kreuzung dreier Straßen, in markanter Lage, hat der Designprofessor Miles Pennington zusammen mit DLX Design Lab der Universität Tokio die öffentliche Toilette als solche komplett neu interpretiert. Die Nutzung als Toilette tritt dezent in den Hintergrund und überlässt die große Bühne einem Multifunktionsraum, nutzbar etwa für Ausstellungen, als Pop-up Kiosk, Infozentrum oder Outdoorkino. In den Boden versenkbare Poller können dort mit Holzbalkon zusammengeschaltet werden und dienen als flexibel gestaltbare Sitzgelegenheit. Pennington möchte durch die zusätzliche Belebung den Trend umkehren, dass öffentliche Toiletten wenig genutzt werden und dadurch in Vergessenheit geraten.
„Dies ist ein Gemeinschaftsraum, der zufällig auch Toiletten hat", so beschreibt der Designer Miles Pennington seinen Entwurf der öffentlichen Sanitäranlage. Ein zum Teil überdachter Außenraum bietet hier Platz für eine flexible Nutzung. Piktogramme zeigen die vorhandene Ausstattung der jeweiligen Toilettenräume. Sie sind an der automatischen Schiebetür angebracht.
Eine echte Koryphäe auf dem Gebiet der Gestaltung von Toiletten ist die Architektin Junko Kobayashi. Als Präsidentin der Japanischen Toilettenvereinigung (JTA) und Autorin von Büchern wie „Die Toilette verändert sich“ liegt ihr sehr daran, das schlechte Image öffentlicher Sanitäranlagen ins Positive zu wandeln. So soll die sonnengelbe ovale Scheibe, die über den Stahlblechzylindern mit ihrer rostigen Patina schwebt, das dunkle und gedrungene Gefühl unter den Hochbahnschienen der Sasazuka Station aufheben zu einer himmelähnlichen Öffnung. Das gesamte Ensemble aus unterschiedlich hohen und dicken Stahlblechzylindern vergleicht Kobayashi mit einem „störrischen alten Mann, der immer über die Menschen wacht, und gleichzeitig eine lustige und unterhaltsame Atmosphäre schafft“. Dementsprechend verwundert es nicht, dass aus den runden Fensteröffnungen der Stahlwandungen die Umrisse niedlicher Häschen schauen.
Einen öffentlichen Raum mit Zugang zu Wasser, einen Brunnen in der Stadt, hat der international tätige Architekt Sou Fujimoto entworfen. Das strahlend weiße, geschwungene Gebäude hat einen oval gefassten und dennoch offenen Innenhof mit Handwaschplätzen und Trinkwasserstellen in unterschiedlichen Höhen für Kinder, Erwachsene und Menschen im Rollstuhl. Hier kann man sich treffen und ins Gespräch kommen, auch wenn man die Toilette nicht nutzt. Es ist die neue Interpretation eines traditionellen Konzepts, das Fujimoto mit dem Treffpunkt rund um die Wasserstelle geschaffen hat und das über die eigentliche Funktion einer öffentlichen Sanitäranlage hinausgeht. Das Weiß der Innenräume und der Fassade steht dabei als Ausdruck für Hygiene und Sauberkeit, auch und gerade, wenn es um die Instandhaltung geht. So kümmert sich die Nippon Foundation zusammen mit dem Unternehmen Toto als Berater um die kontinuierliche Verbesserung der Reinigungsmethoden für alle Sanitäranlagen des Projektes, bevor die Wartung im Frühjahr 2024 an die Stadtverwaltung von Shibuya übertragen wird.
Die Toilettenanlage, entworfen von dem Architekten Sou Fujimoto, erinnert mit ihren weißen geschwungenen Linien an ein überdimensionales Waschbecken. Über den offenen Innenhof erreicht man die Damen- und Herrentoiletten.
Mehr über die Aktion und eine Übersicht der Standorte der Pavillons: https://tokyotoilet.jp/en/
Über die Nippon Foundation: https://www.nippon-foundation.or.jp/en/
Über den japanischen Sanitärhersteller Toto: eu.toto.com
Fotos: The Nippon Foundation / TOTO Ltd.